Geher Ritzenhoff auf historischen Spuren

Das sportliche Gehen gehört mit zu den ältesten olympischen Disziplinen. Bereits seit den Spielen in London im Jahre 1908 werden hier Medaillen vergeben. Damals noch über die heute nicht mehr ausgetragenen Distanzen 3500 m und 10 Meilen.

Deutschlands erfolgreichste Zeit im Gehsport war von Mitte der 60er bis Anfang der Achtziger, als deutsche Athleten neun Medaillen bei Olympischen Spielen gewinnen konnten. Vier davon in Gold. Vier weitere Medaillen folgten Ende der Achtziger / Anfang der Neunziger. Jahrelang gehörten die Geher der DDR zu den besten der Welt. Mittlerweile gehört das Gehen in Deutschland, im Gegenteil zu Ländern wie Russland, China oder Mexiko, zu den absoluten Randsportarten in unserem Land. Gerademal eine Geherin erscheint in der niedersächsischen Bestenliste des Jahres 2014. Und auch die war mit 54 Jahren weit davon entfernt als Nachwuchshoffnung bezeichnet zu werden.

Landes- und Bezirksrekorde stammen allesamt aus den 80er Jahren. Der letzte Start eines Oldenburger Gehers liegt sogar noch länger zurück. Im Jahre 1959 war es Axel Lienemann vom VfL Oldenburg, der anlässlich der Deutschen Meisterschaften im 50 km Straßengehen am 15. August 1959 in Delmenhorst am Start war und dort 5:43 Std. erzielte. „Axel war dann noch ein paar Jahre aktiv, aber danach habe ich in Oldenburg keinen Geher mehr gesehen“, erinnert sich VfL Urgestein Bernhard Sager. „Er war eher Langstreckenläufer und hat das Gehen wohl gelegentlich "nebenbei" betrieben“, ergänzt DLV-Statistiker Jörg Reckemeier. Sechsundfünfzig Jahre später ist es Andreas Ritzenhoff, der die Nachfolge seines Vereinskollegen antritt und als erster Oldenburger Geher seit damals wieder an einer Meisterschaft teilnimmt. Wieder sind es Deutsche Meisterschaften. Diesmal die 20 km Straßenmeisterschaften in Naumburg und die 5000 m Bahnmeisterschaften in Düsseldorf. Je nach Saisonverlauf  stehen auch noch die Seniorenweltmeisterschaften in Lyon auf dem Plan. Dabei ist Ritzenhoff eigentlich noch ein „Anfänger“ als Geher. Erst im Herbst 2013 begann der damals 46jährige Mittelstreckler (800m-Bestzeit: 1:54,67), eher unfreiwillig, mit dem Gehen. „Beim Halbmarathon in Oldenburg habe ich einen Geher gesehen und mir gedacht, dass kannst Du auch mal versuchen. Ein paar Wochen zuvor hatte ich vom Arzt Bescheid bekommen, dass ich mit meinen Knien nicht mehr würde laufen können. Ich habe es mit Aquajogging und Rennradfahren versucht, aber das war nicht zufriedenstellend für mich. Da ich schon während meiner Übungsleiterausbildung mit dem Gehen in Kontakt gekommen bin habe ich es einfach ausprobiert“, erzählt der „Einzelkämpfer“ in Sachen Gehsport. Ritzenhoff suchte nach Informationen im Internet und ließ seine ersten Trainingseinheiten von seinem Sohn auf Video aufnehmen. Als Autodidakt versuchte er seine Technik zu verbessern. „Anfangs hatte ich kein gestrecktes Knie beim Gehen und auch noch eine Flugphase. Außerdem habe ich ziemlich mit den Hüften gewackelt und so zu viel Energie für die Seitwärtsbewegung verbraucht, die mir dann in der Vorwärtsbewegung gefehlt hat“. Nachdem er an zwei Volksläufen teilgenommen hatte, den ersten beim famila-Lauf (31:11), kam er im Mai 2014 zum VfL. Hier konnte er sich schnell verbessern. War er bei seinen ersten Tempoversuchen noch 34:30 Minuten über 5 km gegangen konnte er sich nun schnell auf eine Zeit von unter dreißig Minuten verbessern. „Mein Trainer Jürgen Wegner hat mir schnell das überflüssige Hüftwackeln abgewöhnt und durch das Intervalltraining konnte ich mich schon nach kurzer Zeit verbessern. Auch meine Technik verbesserte sich schnell, so dass ich in meinem ersten offiziellen Wettkampf zu meiner großen Freude nur eine gelbe Kelle zu sehen bekam“. Dass Geher ein Akzeptanz Problem haben und belächelt werden, war Ritzenhoff schon aus seiner aktiven Zeit als Läufer bekannt. Aber nun erlebt er das an eigener Haut. „Das ich belächelt werde und mir Kommentare von Passanten sowie von Läufern anhören musste war anfangs schon ein wenig gewöhnungsbedürftig. Zugegeben wir sehen teilweise schon etwas komisch aus. Aber mittlerweile treffe ich immer öfter Läufer die darüber staunen wie schnell ich unterwegs bin“. Kein Wunder, geht er doch im Training 1500 m Intervalle in einem Tempo von knapp über siebeneinhalb Minuten. Nicht wenige Läufer laufen in dieser Zeit gerademal etwas mehr als einen Kilometer. Freuen würde sich Ritzenhoff wenn sich irgendwann andere interessierte Mitgeher zum Aufbau einer kleinen Trainingsgruppe finden würden.