Malaga 2018 - Mein WM-Tagebuch

Tag 1

 

 

 

Endlich ist es soweit! Nach fast zehnstündiger ereignisloser Anreise sind Andreas Ritzenhoff und ich endlich im Hotel Solymar im spanischen Malaga angekommen. Ein kleines aber feines Hotel in einer ruhigen Seitenstraße nur 100 m entfernt vom Strand. Für den haben wir aber erst einmal keinen Blick. Zunächst heißt es uns auf den Weg ins Malaga Athletics Stadium zu machen wo wir uns akkreditieren lassen müssen und unsere Startunterlagen bekommen. Wie sich herausstellt liegt das Stadion an einem der beiden Endpunkte der einzigen U-Bahn der Stadt. Auf dem Weg zum anderen Endpunkt passieren wir unser Hotel, den Hauptbahnhof sowie die anderen beiden Stadien in denen wir in den nächsten Tagen aktiv sein werden. Einfacher gehst kaum. Gut geplant Andreas! Das Stadion in dem wir uns nun befinden ist eigentlich der Trainingsplatz des Profifußballs Clubs FC Malaga und hat erst vor wenigen Wochen eine neue blaue Tartanbahn bekommen. Hut ab. In Deutschland geht es eher anders rum. Im Inneren der Katakomben befindet sich zudem ein riesiger Laufkanal sowie ein großer Bereich wo technische Disziplinen wie z.B. der Stabhochsprung trainiert werden können. Hier werden sich die Athleten aus aller Welt in den nächsten zwei Wochen vor ihren Wettkämpfen aufwärmen. Zugang erhält man hier nur mit unserer Akkreditierung. Aber nicht nur als Zugangslegitimation kommt sie zum Einsatz. So taugt sie auch sehr gut dazu Kontakt mit den Sportlern aus den anderen Nationen zu knüpfen. Da die Athleten mit der Akkreditierung auch für die Dauer ihrer Wettkämpfe eine Metrokarte erhalten sieht man in der Stadt viele Menschen mit dieser um den Hals rumlaufen. So als gehöre man dadurch zu einem exklusiven Club grüßt man sich bzw. kommt ins Gespräch, wenn man sich auf der Straße, im Hotel oder in der U-Bahn trifft, ganz so als ob man sich schon lange kennen würde. Nach einer ersten Orientierung im Stadion heißt es jetzt aber endlich mal was in den Magen zu bekommen. Dazu machen wir uns auf den Weg in die Stadt wo wir schnell fündig werden. Ein erster Spaziergang durch die um 21 Uhr noch sehr belebte Altstadt rundet unseren ersten Tag bei der Senioren WM in Malaga ab.

 

Morgen heißt es dann für Pierre Wirth, Stefan Gimmy, Jens Beintken und mich erstmals „On your Marks“, wenn wir am späten Nachmittag auf der neuen blauen Bahn im Malaga Athletics Stadium in den Startblöcken zum 100 m Lauf sitzen.

 

 

 

 

 

Tag 2

 

 

 

Unser erster Wettkampftag an der Costa del Sol ist Geschichte. Nach einem leichten Frühstück machten Andreas und ich einen ersten kurzen Spaziergang an den nahen Stadtstrand von Malaga. Noch ist der Strand spärlich besucht, aber bei vorhergesagten dreißig Grad dürfte dies nicht mehr lange so bleiben. Nur auf dem nahen Fitness-Parcours sind schon einige Jugendliche fleißig am Trainieren. Für uns geht es ein erstes Mal am heutigen Tag ins Stadion. Hier stehen die 100 m der Altersklasse W70 an. Für Andreas ein ganz besonderer Moment. Stand doch hier seine ehemalige Trainerin am Start die er seit dreißig Jahren nicht mehr gesehen hatte. Große Freude dann auch beim Wiedersehen nach dem Wettkampf. Man hatte sich viel zu erzählen. War am Vormittag noch viel Platz im Laufkanal unter der Tribüne gewesen sollte sich dies am Nachmittag gewaltig ändern. Allein in unserer Altersklasse der M50 waren über 100 m zehn Vorläufe mit jeweils neun Athleten angesetzt. Zehn davon in Schwarz-Rot-Gold. Zunächst machten wir uns aber wieder auf den Weg zurück ins Hotel wo nach einer kleinen Mahlzeit ein einstündiger Mittagsschlaf auf dem Programm stand. Starke Windböen auf dem Weg ins Stadion ließen nichts gutes ahnen. Aber zunächst hieß es die Atmosphäre beim Aufwärmen vor dem Lauf zu genießen. Hier musste man bei seinen Lauf-ABC-Übungen und Steigerungsläufen allerdings ganz schön aufpassen um nicht mit irgendwelchen anderen Sprintern zusammen zu rasseln. USA, Trinidad & Tobago, Großbritannien, Kanada, Frankreich sowie die Jamaikaner, keine der großen Sprintnationen durfte fehlen. Ich bekam es im zweiten Vorlauf mit Läufern aus Trinidad & Tobago, Japan, Chile, Spanien, Uruguay, Australien und den Niederlanden zu tun. Das dies hier kein normaler Wettkampf war merkte ich aber nicht nur an den vielen unterschiedlichen Nationaltrikots und Sprachen um mich herum, sondern auch an meinen eigenen Pulswerten. Gemütlich auf einem Stuhl sitzend lagen die im Call-Room bereits bei 100. Als mein größter Gegner sollte sich aber keiner der Läufer aus aller Welt herausstellen, sondern der Wind. Nach einem für meine Verhältnisse relativ gutem Start konnte ich zunächst noch recht gut mithalten bis mich eine starke Windböe von der Seite erwischte, so dass ich stark ins Taumeln geriet und meinen Rhythmus verlor. Am Ende stand eine noch nie dagewesene 14.41 Sek. auf der Anzeigetafel. Aber auch die 3,9 m Gegenwind sucht man in meiner Rennstatistik vergebens. Den Lauf nach mir erwischte es sogar noch heftiger. Mit 4,8 m Gegenwind erwischten sie den Höchstwert in unserer Altersklasse. Von regulären Bedingungen kann man da kaum noch reden. Zumal die Böen die von der Seite kamen nicht in den Wert mit einfließen. Kein Wunder also das fast alle Läufer weit unter ihren Bestleistungen aus diesem Jahr blieben. So auch meine beiden BTB-Kollegen Pierre Wirth (13.70 / -2,4 m) und Stefan Gimmy (13.34 /- 2,9 m). Trotz der widrigen Bedingungen konnten wir alle Drei die besondere Atmosphäre einer solchen Meisterschaft in vollen Zügen genießen. Allen voran Stefan Gimmy der heute erstmals im Nationaltrikot an den Start gegangen war. „Sehr geil“, war dann auch sein Kommentar nach dem Rennen. Mehr Glück hatte da Jens Beintken (12.13), der vier Stunden nach uns an den Start gegangen war und sich sogar über 1,3 m Rückenwind freuen konnte.

 

Während ich jetzt einen Tag Pause haben bevor es am Freitag über die 200 m geht, startet mein Mitbewohner Andreas morgen früh um 10 Uhr über 5000 m Bahngehen in die Weltmeisterschaft. Leider wurde er in den langsameren von zwei Zeitläufen gesetzt, so dass er als Athlet mit der zweitschnellsten gemeldeten Zeit wohl ein einsames Rennen gegen die Uhr absolvieren muss. Da der Wettkampf nicht im Hauptstadion, sondern im Universitätsstadion stattfinden wird haben wir uns heute Abend schonmal die Wettkampfstätte etwas näher angeschaut, damit Andreas sich nicht morgen früh vor dem Wettkampf erst noch orientieren muss anstatt sich voll und ganz auf den Wettkampf zu konzentrieren. Eins haben beide Stadien gleich: Die Verpflegung ist katastrophal. Da lobe ich mir Lyon vor drei Jahren.

 

Während Pierre und Stefan am Sonntag in die Weitsprungkonkurrenz starten hat Jens noch einen Tag länger Pause.

 

 

 

 

 

 

 

Tag 3

 

 

 

Heute hieß es früh aufstehen da Andreas bereits um zehn Uhr an der Startlinie im Universitätsstadion von Malaga stehen musste. Nach meinem wenig geglückten Start als Athlet in diese WM war ich nun als Trainer und Betreuer gefragt Andreas dabei zu helfen es besser zu machen und sein Ziel eine neue Bestzeit zu erzielen in die Tat umzusetzen. Bei kuschligen Temperaturen von 25 ° C kein einfaches Unterfangen über 5.000 m Bahngehen. So hatten wir uns am Abend zuvor einen Marschplan zurechtgelegt den es hieß so lange als möglich einzuhalten. Unabhängig davon was mögliche Konkurrenten auf der Bahn veranstalten würden. Nach ein paar letzten aufmunternden Worten machte ich mich auf den Weg in meine Coaching-Zone während Andreas in den Call-Room ging. Wobei man es hier deutlich entspannter sah als bei uns am Vortag. Jeder Athlet bekam hier einen Transponder den er am linken Arm zu tragen hatte und konnte den Call-Room wieder verlassen um sich in Bewegung zu halten. Welche Kleinigkeiten einen gut vorbereiteten und hochkonzentrierten Athleten verunsichern können sah man hier wieder am Beispiel des Transponders. Da dieser so groß wie eine Uhr war stellte sich die Frage für die Sportler wohin mit der eigenen Uhr. „Ich bin es doch gar nicht gewohnt die Uhr rechts zu tragen“. Auf den ersten Blick eine Kleinigkeit, aber es kann reichen das der Sportler den Fokus verliert. Die Lösung war denkbar einfach für einen Außenstehenden, aber nicht für einen unter Anspannung stehenden Sportler vor einem wichtigen Wettkampf: beides auf links tragen. Auch wenn es ungewohnt ist, aber immer noch besser als auf etwas Gewohntes zu verzichten.

 

Der Wettkampf begann dann mit dem vorpreschen eines indischen Athleten den Andreas aber einfach laufen lies und sich nur auf sich selbst konzentrierte. Auch durch eine Attacke eines Spaniers lies er sich nicht locken und hielt sich fast auf die Sekunde genau an den Marschplan. Schnell hatte er trotz der beiden Attacken der Konkurrenz die Führung übernommen und baute sie von Runde zu Runde aus. Dabei absolvierte er Runde um Runde exakt wie ein Uhrwerk. Die 3000 m wollte er in sechzehn Minuten absolvieren und hätte dann noch immer genug Puffer gehabt um sein Ziel unter 27 Minuten zu bleiben zu realisieren auch wenn er einbrechen würde. Nach exakt 16:00 Minuten überquerte er die 3000 m Marke und konnte dieses Tempo sogar noch einen weiteren Kilometer durchhalten. Erst jetzt musste er dem Tempo und dem Wetter Tribut zollen und das Tempo etwas herausnehmen. Am Ende stand eine Zeit von 26:51 Minuten sowie ein Sieg im B-Finale zu Buche. Seine Bestzeit hatte er dabei gleich um 28 Sekunden verbessert.

 

Nach einer kurzen Verschnaufpause ging es dann für uns wieder ins Hauptstadion wo ein Fototermin anstand. Es sollte ein Gruppenfoto aller anwesenden deutschen Athleten gemacht werden. Ob da am Ende was Vernünftiges bei rausgekommen ist? Wir hatten da so unsere Zweifel. In der Zwischenzeit waren auch die heißbegehrten Veranstaltungs-T-Shirts angekommen. Noch aus den Kartons heraus wurden die Meisten verkauft, so dass am Abend schon keine mehr da waren. Für uns stand nun erst einmal Essen und Mittagsruhe an bevor es wieder ins Stadion ging. Diesmal nur als Zuschauer. Es standen u.a. die 100 m Finals an.

 

Morgen geht es dann für mich weiter. Die 200 m stehen auf dem Plan. Hoffentlich ohne Wind.

 

 

 

Tag 4

 

 

 

Der heutige Tag begann wenig vielversprechend für mich. Geweckt durch einen Presslufthammer oder was auch immer uns so unsanft aus dem Schlaf gerissen hat startete ich gleich mit Kopfschmerzen in den Tag. Nicht unbedingt die ideale Voraussetzung für eine Topleistung im Wettkampf. Wie am Vortag schon das Bahngehen fanden auch die 200 m Vorläufe im Stadion der Universität statt. Hier hatten wir im Gegensatz zum Hauptstadion deutlich mehr Platz um uns warm zu machen. So gab es eine ein Kilometer lange Runde um sich warmzulaufen sowie ein Kunstrasenplatz für das Lauf-ABC und die Steigerungsläufe. Ich suchte dann aber doch lieber die Ruhe und absolvierte meine Aufwärmübungen größten Teils im Parkhaus. Neben all den muskelbepackten Jamaikanern, Amerikanern und den Teilnehmern aus den anderen Sprintnationen kam ich mir doch etwas verloren vor. Denen ging ich dann auch in meinem Vorlauf, dem Achten von insgesamt Zwölf, aus dem Weg. Zwar hatte auch ich einen Amerikaner im Rennen, aber der wurde wegen Verlassens der Bahn disqualifiziert. Außerdem lief ich gegen Läufer aus Italien, Chile, Argentinien, Südafrika und einen weiteren Deutschen. Wieder eine bunte Mischung aus Läufern aus der gesamten Welt. Vom Call-Room, der wieder unterhalb der Tribüne lag, wurden wir Ausgangs der Kurve auf die Bahn geführt und legten die hundert Meter bis zum Start auf der blauen Laufbahn zurück. Das ist schon was anderes als wenn man sich alleine Richtung Start begibt und sich dort dann erst fertig macht. Hier wurden wir schon in kompletter Wettkampfkluft vor den Augen der Zuschauer an den Start geführt. Fühlt sich schon ganz besonders an. Am Start angekommen wurden wir dann über Lautsprecher sowohl in Spanisch als auch in Englisch vorgestellt. Ich als Fünfter. Ganz wie die Großen. Der ein oder Andere konnte sich auch ein Winken ins Publikum nicht verkneifen. Nicht ganz so mein Ding. Nun wurde es ernst. Volle Konzentration. Ab in den Tunnel. Das Kommando „On your Marks“ schickte uns in die Startblöcke, „Set“ hoch mit der Kiste und dann folgte der Schuss woraufhin alle losstürmten als gebe es kein Morgen. Taktieren ist hier nicht drin. Vollgas vom ersten Meter an. Ich schaffe es auf der Geraden mich Schritt für Schritt an den auf Bahn Zwei vor mir laufenden Argentinier heranzuschieben, aber am Ende fehlt die Kraft und ich gerate in Rückenlage. Am Ende werde ich Fünfter in für mich unbefriedigenden 28.08 Sekunden. Die Form ist nach dem verspäteten Saisoneinstieg wohl doch nicht so wie ich es gerne hätte. Fair gratuliert jeder jedem nach dem Zieleinlauf. Für ein gemeinsames Gruppenfoto, Arm in Arm mit allen Läufern, ist auch noch Zeit. Sportlich enttäuschend, aber wieder einmal ein tolles Erlebnis. Jetzt hieß es erstmal entspannen um abends noch ein wenig die Altstadt zu erkunden. Morgen ist der erste Ruhetag der WM.

 

 

 

Tag 5 + 6

 

Nach dem ersten Ruhetag der WM an dem wir uns mit Regenerationstraining und Sightseeing beschäftigt hatten ging es bereits am frühen Sonntagmorgen mit den ersten Wettkämpfen weiter. Die Strecke des 10 km Straßenlaufs ging unmittelbar an unserem Hotel vorbei, so dass wir es nicht weit hatten. Wobei es bei manchem Teilnehmer nicht wirklich nach laufen aussah. Muss das bei einer WM sein? Dafür gibt es doch Volksläufe. Bei Temperaturen um die 23° C morgens um neun Uhr war die Ausfallrate zudem sehr hoch. Anstatt an der Strecke zu stehen, nutzte ich die Zeit und joggte entlang der Wettkampfstrecke Richtung Stadion wo ich noch den Zieleinlauf der letzten Läufer mitbekam. Glücklicherweise habe ich dies gemacht, da mal wieder eine Terminänderung heimlich still und leise durchgeführt worden war. So wurde die Wettkampfbesprechung der deutschen 10 km Geher nicht nur um zweieinhalb Stunden vorverlegt, sondern auch gleich in ein ganz anderes Stadion verlegt. Da wäre Andreas unnütz durch die Gegend gefahren. Aber über die kurzfristigen Terminänderungen der Veranstalter meckern. Erst einmal besser machen DLV! So konnten wir uns pünktlich auf den Weg machen um Pierre und Stefan beim Weitsprung moralisch zu unterstützen. Die durften im Stadion Carranque ran, dem dritten von vier Austragungsstätten in und um Malaga. Während Stefan noch etwas warten musste, da er aufgrund seiner Vorleistung für das A-Finale gesetzt war, begann für Pierre der Wettkampf pünktlich um 16 Uhr. Aber auch er musste sich in Geduld üben. Mit achtzehn Springern war zwischen den einzelnen Sprüngen sehr viel Zeit. Im Wettkampf hatte er dann so seine Probleme mit dem Anlauf. Sprang er beim ersten Versuch noch vor dem Brett ab, war sein Zweiter ungültig wegen Übertretens. Beim letzten Versuch fing er auf den letzten Metern an zu trippeln, sprang dann aber trotz allem mit 4,92 m eine persönliche Jahresbestleistung und landete am Ende auf dem 24. Platz. Auch der verletzungsgeplagte Stefan konnte mit 5,19 m eine persönliche Jahresbestleistung erzielen und wurde am Ende bei seinem Weitsprungdebüt auf internationaler Ebene guter Siebzehnter. Ebenso wie Pierre hatte er seine Bestweite an diesem Tag im dritten Versuch gesprungen. Während für die Beiden die WM beendet ist muss Jens morgen früh um 10:15 Uhr ebenfalls im Weitsprung ran. Gerne würde er es seinen beiden Mitbewohnern nachmachen und eine neue Jahresbestleistung erzielen. Seine zweite persönliche Bestzeit in Malaga peilt dagegen Andreas an. Über 10 km möchte er am Abend gerne seine Zeit aus dem Jahre 2016 unterbieten. Für mich bleibt am morgigen Tag wieder die Trainer/Betreuerrolle.

 

Tag 7

 

 

 

Heute war mal wieder frühes Aufstehen angesagt, da Jens bereits um kurz nach 10 Uhr mit seiner Weitsprungentscheidung dran war. Zum Glück hatte er sich fürs A-Finale qualifiziert ansonsten hätten wir noch eine Stunde eher rausgemusst. Jens kam dann auch gleich gut in den Wettkampf rein und sprang mit 5,98 m bis auf einen Zentimeter an seine Jahresbestleistung heran. Sein Ziel eine sechs vorne stehen zu haben war somit greifbar nah. Aber noch nicht im zweiten Versuch. Der geriet ihm vollkommen daneben. Im dritten und letzten Versuch setzte er alles auf eine Karte und traf das Brett nahezu ideal und landete bei 6,20 m. Nach dem zweiten Durchgang wäre das Platz Vier und ein sicherer Platz im Endkampf gewesen. Da aber gleich mehrere Springer im letzten Versuch nachlegen konnten musste er sich mit dem zehnten Platz zufriedengeben. „Damit hätte ich nicht gerechnet, nachdem ich noch vor wenigen Monaten kaum laufen konnte“, strahlte er nach dem Wettkampf. „Auch unabhängig von der sportlichen Leistung war das wieder einmal ein unvergessliches Erlebnis von dem ich noch lange zehren werde. Der Kontakt und die Gespräche mit all den Sportlern aus aller Welt einfach unvergesslich. Sowas erlebt man nicht bei deutschen Meisterschaften oder anderen Wettkämpfen zuhause“, sprachs und wurde von einem japanischen Konkurrenten um ein Erinnerungsfoto gebeten. Erlebnisse wie diese machen dieses Sportevent aus und trösten auch mal über nicht so gute sportliche Leistungen hinweg.

 

Nach so langem sitzen auf der Tribüne musste ich mich auch erstmal ein wenig bewegen und joggte zurück ins Hotel. Eine recht schweißtreibende Angelegenheit bei wiedermal 26° C. Danach habe ich mir erst einmal eine Portion Nudeln bei unserem Lieblings-Italiener verdient. Nach kurzem zögern kommt Andreas mit mir. Eine Entscheidung die vielleicht nicht die Beste war, da die Nudeln ordentlich gewürzt waren und Andreas bei seinem Wettkampf fünf Stunden später ein wenig Magenprobleme bekam. In diesen war er mit dem Ziel gegangen nach den 5000 m auch über 10 km eine neue Bestzeit zu erzielen. Ein schwieriges Unterfangen bei diesen Temperaturen. Zunächst sah es auch ganz gut aus. Auf den ersten vier Kilometern konnte er den Zeitplan exakt einhalten. Danach bekam er allerdings Probleme und konnte sein Tempo nicht mehr halten. Hier zeigte sich einmal mehr wie hilflos man als Trainer und Betreuer in solch einer Situation ist und wie wenig man seinem Athleten hier helfen kann. Geholfen hat ihm dann allerdings die Einnahme eines isotonischen Getränks gegen Ende des Rennens nachdem er zunächst nur Wasser getrunken hatte. „Danach hatte ich das Gefühl die Schwächephase überwunden zu haben“, erzählte er nach dem Rennen. Und tatsächlich, auf den letzten drei Kilometern konnte er noch einmal beschleunigen und in 57:30 Minuten seine bisher zweitschnellste Zeit über 10 km erzielen. Dies reichte zu Platz 21 und den vierten Platz mit der Mannschaft. „Ich rechne mit einem Platz um Dreißig herum. Unter die ersten Zwanzig wäre ein Traum“, hatte er vor dem Wettkampf noch gesagt.

 

Da fast alle Abstriche bei ihren Zielzeiten machen mussten konnte er am Ende mehr als zufrieden sein. Gelernt haben wir beide auch etwas am heutigen Tag. Man sollte am Tag des Wettkampfs absolut nur das zu sich nehmen was man kennt. Also besser eigenes Essen mitbringen um keine bösen Überraschungen zu erleben.

 

Während Andreas nun drei Tage frei hat geht es für mich morgen ein letztes Mal an den Start. Nachmittags um 16:30 Uhr stehen die 400 m auf dem Plan. Mal sehen was das gibt.

 

 

 

Tag 8

 

Heute stand in Malaga mein letzter Wettkampf bei dieser WM auf dem Plan: die 400m. Eigentlich meine Paradedisziplin, aber in diesem Jahr bin ich ein wenig am Fremdeln mit dieser Distanz. Ein Grund hierfür dürfte sein, dass ich erst sehr spät in dieser Saison ins Training eingestiegen bin und mir deshalb das Selbstvertrauen für diese brutale Distanz fehlt. Eine Distanz vor der selbst Topläufer wie der deutsche M50-Vizemeister Meinert Möller einen Heidenrespekt haben und mit einer zusätzlichen Portion Nervosität an den Start gehen. Viel taktieren kann man hier nicht. Geht man zu schnell an wird man am Ende böse bestraft, geht man zu langsam an holt man die Zeit am Ende nicht wieder rein. Eine Distanz für die man sehr viel Erfahrung braucht um das richtige Tempo anzuschlagen. Auf eins kann man sich allerdings zu hundert Prozent verlassen: Am Ende tut es fürchterlich weh.  

 

Um sich darauf einzulassen gehört schon eine gehörige Portion Selbstvertrauen, die man sich in den Monaten zuvor im Training bzw. in Wettkämpfen geholt hat. Schon in den Tagen vor dem Wettkampf merkte ich das ich dieses Selbstvertrauen derzeit nicht besitze. Mit ordentlich Bauchschmerzen habe ich mich so zwei Stunden vor dem Wettkampf auf den Weg ins Stadion gemacht. Schon beim normalen Gehen fühlten sich die Waden verkrampft und die Oberschenkel schwer an. Beim warmmachen wurde es nur unwesentlich besser. Da half es wenig das auch die Topleute im Call-Room deutlich nervöser wirkten als sonst. Die Temperatur von 28° C tat sein Übriges. Gemeinsam mit Meinert war ich für den fünften Vorlauf ausgelost worden. Außer uns waren noch ein Amerikaner, ein Tscheche, ein Schwede, ein Italiener sowie ein Chilene in diesem Vorlauf. Der einzige der von seiner Meldezeit in meinem Leistungsbereich unterwegs war, war der Chilene der auf Bahn Zwei lief. Ich musste mit der ungeliebten Bahn Acht Vorlieb nehmen. Das nächste Problem trat dann kurz vor dem Start auf. Die Ansagen des Starters waren so leise, dass nicht alle das „On your Marks“ gehört hatten und wir deshalb wieder aus den Blöcken geholt wurden. Aufgrund meiner Position fand alles hinter meinem Rücken ab, so dass ich mich immer nach hinten umschauen musste um mitzukriegen was da hinter mir abging. Nicht gerade förderlich für die Konzentration. Als es dann endlich losging lief ich viel zu verhalten los, weil ich mir nicht zutraute volles Risiko zu gehen. Nichtsdestotrotz kam mir bei der Hälfte der Strecke der Gedanke, dass ich jetzt schon müde werde. Mit so etwas sollte man sich während des Laufs gar nicht beschäftigen. Laufen und noch Mals laufen. Nicht denken. Ausgangs der letzten Kurve zog dann der Chilene auf Bahn Zwei an mir vorbei. Aufmunternde Anfeuerungen anderer deutscher Athleten von der Tribüne weckten nochmal meinen Kampfgeist und ich hielt dagegen. Im Ziel hatte ich ihm dann fast noch zwei Sekunden abgenommen. Mit der Zeit von 67.01 Sekunden konnte ich allerdings absolut nicht zufrieden sein. Vollkommen undiskutabel. Natürlich war ich kaputt im Ziel, aber nicht so wie sonst nach 400 m. Körperlich wäre da wohl noch mehr drin gewesen, mental leider nicht. Da gibt es einiges aufzuarbeiten.

 

Jetzt heißt es aber erst einmal Andreas dabei zu unterstützen am Freitag eine neue Bestzeit über 20 km zu erzielen.   

 

 

 

Tag 9 – 11

 

 

 

Nach den 400 m am Vortag gönnte ich mir am Morgen neben einem lockeren Regenerationslauf noch eine ausgiebige Massage. Am Nachmittag sowie am nächsten Tag stand dann Sightseeing au dem Programm. Da zudem am Donnerstag der zweite Ruhetag war hatten wir zwei Tage an denen wir auch als Zuschauer WM-Frei machten. Nichtsdestotrotz war die WM natürlich auch an diesen Tagen allgegenwertig, da einem überall in der Stadt Sportler über den Weg liefen die eindeutig als WM-Teilnehmer zu erkennen waren. So traf ich den ein oder anderen 400 m – Läufer mit dem ich mich über Trainingsmethoden austauschen konnte.

 

Unser letzter WM-Tag begann dann am frühen Morgen im Universitäts-Stadion mit den Finals im 400 m Lauf. Solch eine Wahnsinnsstimmung wie hier habe ich während der knapp zwei Wochen in Malaga noch nicht erlebt. Was sicherlich an dem Moderator lag der ordentlichen Stimmung machte, aber vor allem an den guten Leistungen und engen Entscheidungen auf der Tartanbahn. Für mich ging es danach erst einmal weiter ins Hauptstadion wo ich an einer kostenlosen Leistungsdiagnostik teilnahm. Diese ca. einstündige Untersuchung brachte mir noch einmal einige hilfreiche Erkenntnisse für mein Training in der kommenden Saison.

 

Lagen bisher die Wettkämpfe immer so dass wir Oldenburger nie parallel ran mussten sah das diesmal anders aus. So mussten diesmal der erst gestern angereiste Alf Decker und Andreas fast gleichzeitig ran. Alf über 100 m Hürden und Andreas beim 20 km Straßengehen, so dass wir Alf leider bei seinem Wettkampf nicht unterstützen konnten. Der lief dann auch nicht sonderlich gut da er bereits an der vierten Hürde mit dem Knie hängenblieb und so mit 19.63 Sekunden ein für ihn unbefriedigendes Ergebnis erzielte.

 

Für Andreas war es erst der zweite Wettkampf über 20 km und dementsprechend nervös war er auch vor dem Start. Das sein Rücken wieder Probleme machte und die Temperaturen wieder auf 28° C angestiegen waren machte es auch nicht besser. Hinzu kam noch das die realistische Chance bestand mit der Mannschaft eine Medaille zu gewinnen, sofern alle drei DLV-Starter ins Ziel kamen. Zunächst lief es auch ganz gut und Andreas konnte seine ersten Runden in exakt der Zeit absolvieren die er sich vorgenommen hatte. Aber schon nach drei Kilometern begann der Rücken ihm mehr und mehr Probleme zu bereiten. Zusätzlich fing der linke Oberschenkel zu verkrampfen, so dass er im linken Bein kein Gefühl mehr für die richtige Gehtechnik hatte. Bis Kilometer Sieben konnte er trotzdem das angeschlagene Tempo noch halten. Ab da hieß es dann aber nur noch sich für die Mannschaft durchzubeißen. Während einer nach dem anderen der rund Hundertzwanzig Starter aufgab oder disqualifiziert wurde kämpfte sich Andreas schmerzgeplagt über die Strecke und kassierte dabei nicht einmal eine einzige Verwarnung. Ein Zeichen dafür wie sicher er mittlerweile die Gehtechnik beherrscht, dass er obwohl er kaum noch Gefühl im linken Bein hatte die Technik immer noch sehr sauber ausführte. Die Belohnung folgte dann auch zwei Stunden nachdem er nach 2:08 Stunden die Ziellinie überquert hatte in Form einer Silbermedaille für die Teamwertung. Das Warten auf die Siegerehrung erwies sich allerdings als große Herausforderung. Die fand nämlich nicht im Stadion statt, sondern in einem stickigen Zelt. Schon kurz nach dem letzten Geher im Ziel wurde das Stadion geschlossen, so dass alle vor dem Stadion auf die Siegerehrung warten mussten. Ohne Möglichkeit etwas Ess- oder Trinkbares zu erstehen. Da machte so manch einer schlapp, der das Rennen selbst ohne größere Probleme überstanden hat. Das war vor drei Jahren in Lyon besser geregelt und hatte dadurch auch eine passendere Atmosphäre. So hatte die Siegerehrung trotz der Hymnen eher was von einer Ehrung bei einem Volkslauf. Eine Siegerehrung bei einer WM gehört meiner Meinung ins Stadion und nicht in ein Zelt auf dem Parkplatz. Für Andreas war es trotzdem ein besonderer und erhebender Moment.

 

Für uns bestand nun das Problem um diese Uhrzeit noch was Essbares zu bekommen. Dachten wir. In Strandnähe war dies dann absolut kein Problem. Da wir am nächsten Morgen schon früh zum Flughafen mussten wurde es eine recht kurze Nacht.

 

Auch wenn die sportlichen Resultate vielleicht nicht ganz unseren Erwartungen entsprachen, war es mal wieder ein gigantisches Erlebnis von dem wir noch lange zehren werden. Und es hat Lust auf Wiederholung gemacht.